Forest Bus

Vorwärts Natur! die Kunstaktionen der Embassy of Trees von Fabian Lasarzik

 

Forest Bus

Vorwärts Natur!
Die Kunstaktionen der
Embassy of Trees

Fabian Lasarzik

1. Inszenierungen im öffentlichen Raum

In ihrem künstlerischen Schaffen sucht Ellen Bornkessel Inszenierungen, die keine sind, und mag Momente, in denen sich Kontexte verschieben und sich Parallelwelten auf verschiedenen Ebenen öffnen und begegnen: Ein leuchtender und zudem im Inneren duftender öffentlicher Nahverkehr „Wald-Bus“ bringt einen Naturwald zu den Menschen in die Stadt Monheim, eine über 100 Meter lange Bauzaunfassade mit besonderen Baumfotografien umrahmt das Hauptportal des Kölner Doms (in der Karnelvalszeit!) und erinnert nebenbei daran, dass Bäume als Symbol für die Verbindung von Himmel und Erde stehen. So sind zum Beispiel korinthische Säulen den Bäumen nachempfunden, die – im Kirchenbau verwendet – sozusagen das Dach des Himmels tragen. Die intensive und vielseitige künstlerische Beschäftigung mit dem öffentlichen Raum, sei er als Bühnen- oder Zuschauerraum oder als etwas dazwischen in Szene gesetzt, ist ein weiteres starkes Merkmal ihres Schaffens und gerne auch politisch motiviert, obwohl ihre Arbeiten nicht als politische Kunst anzusehen sind.

Dafür arbeitet sie in ihren Werken zu sehr mit Mitteln der Kunst an sich, wie Schönheit, Erhabenheit und auch der Magie. Die Andeutung oder besser Betonung eines magischen und geheimnisvollen Bezugs ist bei den, dem Forest Bus zugrundeliegenden Großfotografien der Serien Trees vor allem in der leuchtenden distanzlosen Darstellung des Waldes zu finden. Dies ist das auffällige Merkmal des Forest Bus. Viele Besucher und Fahrgäste des Busses merkten bei sonnigen Wetter an, wie „schön und glänzend die Sonne auf den fotografierten Bus scheint“ und damit starke Lichtreflexionen auslöse. Dabei sind die Lichtreflexionen schon in den Fotografien vorhanden und wirken aus sich heraus teils magisch.

Die Magie in den Darstellungen bei Ellen Bornkessel entzieht sich den rationalen Schlussfolgerungen unserer sozial konstruierten Alltagswelt, und trotzdem oder vielleicht gerade deshalb werden die Darstellungen als schön und wahr empfunden. Letztlich nutzt Bornkessel ganz klassisch die Poesie als Vermittlerin von alternativen Sichtweisen und dennoch immanenten Wahrheiten, welche sich in unserer empirisch-analytischen Welt nicht durch Worte oder gar Beweise, sondern durch ästhetisches, sinnliches Erleben transportieren lassen.

So geschieht es auch bei Forest Bus und der Gründung der größer angelegten verbindenden Kunstinitiative Embassy of Trees, die den Rahmen für eine große Foto-Kunstinstallation im öffentlichen Raum am Kölner Dom 2018, aber auch für die Fotoreihen Forest und Tree Summer/ Winter (2017), aus denen der Forest Bus entstanden ist, bildet.

 

Zur Methode

1

Ellen Bornkessel ist in erster Linie Fotokünstlerin. Die Grundfragen der Fotografie beziehen immer szenografische Überlegungen („Was fotografiere ich wo und wie und in welchem Kontext? Wie inszeniere ich das Dargestellte und in welcher Situation für den Betrachter?“) mit ein, und entsprechende Entscheidungen müssen getroffen werden. Aufgrund dieser Überlegungen und Entscheidungen werden Kontextverschiebungen vorgenommen. So entstehen letztlich ihre Arbeiten, die im Grunde der Konzeptkunst im öffentlichen Raum zuzuordnen sind.

Die Kontextverschiebungen finden im Großen („Ein fahrender Wald in Stadt“) sowie in kleinen Details ihrer Fotografien statt („Der belaubte Waldbus wird von einer Gruppe kahler Bäume als Ensemble umrahmt als ob sie ihn beschützen“) Viele der künstlerischen Abbildungen im vorliegenden Buch offenbaren kleine absurde Details, denn Bornkessel liebt absurde Szenerien, die entstehen, wenn Welten wie eine natürliche und eine künstliche aufeinandertreffen oder wenn Konventionen in Frage gestellt werden. Niemals sind diese Szenen bedrohlich oder gar dystopisch: Allen Bildern und Arbeiten Bornkessels haften Humor, Positivität und ein Glaube an eine (bessere) Zukunft als Alternative an. Was sie uns hierfür anbietet, ist das Auslösen eines freudigen Staunens im Betrachter beim Erblicken eines fahrenden sattgrünen leuchtenden Waldes mitten in der Stadt.

Dennoch gibt es eine große Ernsthaftigkeit in ihren Bildern. Betrachten wir die etwas dunkleren gewaltigen Wald-Fotografien aus Trees, empfinden wir ein anderes bewunderndes, fast demutvolles Staunen angesichts der Größe, Erhabenheit und auch angesichts des Geheimnisvollen, das uns unmittelbar „anblickt“.

 

2. Besuche im Wald – ein Blick aus dem Zuschauerraum oder von der Bühne?

Die Aktionen der Embassy of Trees entstanden durch die Erfahrungen, die die Fotografin bei den Aufnahmen zu Tree/Winter machte: Hierzu ging sie in einen Wald in der Nähe von Köln und begab sich auf die fotografische Suche nach etwas, das sie besonders fasziniert und das auch beim Forest Bus deutlich hervorsticht: Es war das besagte Leuchten bzw. das Leuchten des Waldes selbst. Besonders im Winter. So entstand die erste Fotoserie im Winter, wenn das Leuchten besonders stark ist und die Szenerie fast optisch verzerrt und hyperreal wirkt.1

Bei den Aufnahmen bemerkte Bornkessel, dass etwas nicht stimmt: Der Wald roch nach Abgasen und nicht nach dem natürlichen und wohltuenden Waldduft. Das irritierte sie und so entstand die Beschäftigung mit den Bäumen als Umweltthema unabhängig oder bzw. verbunden mit der Faszination für und der fotografischen Suche nach der Schön- und Erhabenheit des Waldes und seiner Bewohner – den Bäumen.

Ihre Sorge um deren Schutz und ihr Unverständnis darüber, dass der Wald nicht die Aufmerksamkeit und nötige Wertbemessung der Menschen bekommt, sowie die Erkenntnis, dass Mensch und Natur in ein und demselben Biosystem leben, trieb sie an, sich selbst kurz umweltaktivistisch zu engagieren. Später dann setzte sie diese Motivation künstlerisch um und es entstanden die Fotoserien Serien Tree Winter, Tree Summer, Forest und die Aktionen der Embassy of Trees sowie der Forest Bus, welche im vorliegenden Buch auszugsweise dokumentiert werden.

Es geht bei den Kunstprojekten nicht um vermeintlich besonders zeitgemäße „Umwelt Kunst“, die sich als Kunst selbst anmaßt und gleichsam darauf reduziert, konkrete Missstände der heutigen Welt aufzuheben oder zu lindern, die andere Fachbereiche unserer Gesellschaft nicht bewältigen. Bornkessen entzieht sich diesem Wahrnehmungssystem von „Subjekt Mensch“ und „Objekt Natur“, aus dem sich das Kunstsystem2 zum Teil noch nicht befreit hat, und stellt die Aufteilung der Wahrnehmungsbereiche in „Zuschauer- und Bühnenraum“ künstlerisch geschickt in Frage. Sie offeriert uns stattdessen einen sinnlichen Zugang zur Natur, der verloren scheint. Angesichts der nötigen Aufhebung des dualistisch bis maximal dialektischen Verhältnisses von Natur und Mensch im Zeitalter des Anthropozän ist Bornkessels Ansatz absolut relevant und wertvoll. Bezüge zu der auch in Kunstkreisen3 diskutierten Idee der „politischen Ökologie“ und die radikale Umkehrung unserer humanen Sichtweise auf die Natur als darin eingebundene Wesen wie sie der französische Philosoph und Soziologe Bruno Latour formuliert,4 belegen die innovative Tiefe und Ernsthaftigkeit, die sich in Bornkessels Kunst zu diesem Thema offenbart.

Doch hat der mobile Forest Bus eine Leichtigkeit. Die Botschaft ist einfach, jeder versteht sie: Der Wald kommt (wie eine Parallelwelt) zu den Menschen in die asphaltierte Stadt, wenn die Menschen den Wert des Waldes nicht mehr schätzen und ihn vernachlässigen. Der Wald wird sprichwörtlich Träger der Menschen, nicht ihr Objekt! So simpel es klingt, so relevant und zeitgemäß ist die Schlussfolgerung, die sich an jegliche soziologische, philosophische und biologische Diskussion im Kontext der nicht mehr wegzudenkenden Anthropozän-Debatte anschließen lässt.

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1 Das Wald-Leuchten findet sich in der romantischen Malerei, und in den Darstellungen der „Hubertussage“ aus dem Mittelalter, in der einem Jäger ein Hirsch erscheint und ihn schon zu damaliger Zeit zu nötigem waid- und umweltgerechtem Handeln ermahnt. Hubertus wird als Schutzpatron der Jagd, der Natur und Umwelt angesehen. Witzigerweise findet sich eine stilisierte Abbildung der Darstellung auf dem berühmten Logo des leuchtenden Hirschen auf allen Jägermeister Kräuterlikör-Flaschen wieder.

 

3. „Vorwärts Natur! Den Wald in die Stadt bringen“

Zurück zum konkreten künstlerischen Handeln: Ein dichter leuchtender grüner Wald fährt auffällig durch die winterliche Stadt mit lebensgroßen Fotografien von Bäumen. Diese Szenerie mutet ein wenig absurd an und kreiert eine neue dritte Ebene der Wahrnehmung, denn die Fotoinstallation ist mobil und schafft so immer wieder neue sinnliche Korrespondenzen zwischen dem fotografierten Wald auf dem Bus und der Architektur der Stadt mit ihren Bewohnern und Gebäuden.

Diese Art der mobilen künstlerischen Fotoinstallation dürfte neu für das Genre der „Kunst im

öffentlichen Raum“ sein. Sicher gibt es Fotoinstallationen im öffentlichen Raum,5 jedoch sind fahrende Kunstfotografien und die daraus resultierenden wechselnden Wirkungen der Rezeptionsperspektiven (stehend – fahrend) mit und an verschiedenen örtlichen Situationen eher von der Graffitikunst, wie sie auf Zügen6 oder auf Bussen stattfindet, bekannt.

Betritt man als Fahrgast den Bus, verströmen zudem natürliche Duftessenzen einen angenehmen, kaum wahrnehmbaren Duft, der dem eines Waldes gleicht; mit Moos, Fichten und Laubbaumnuancen. Das sinnliche Erleben von Natur wird von Kunst (und das heißt auch Künstlichkeit) aufgegriffen und löst unsere natürliche, wahrscheinlich genetisch angelegte Sehnsucht nach dem Wald aus. Nebenbei haben die Essenzen auch noch erwiesenermaßen immunstärkende, also gesundheitlich positive Wirkung.

Bornkessels Arbeit ist ein künstlerischer Appell, ein „Vorwärts zur Natur“. Es ist ein positives Signal einer Stadt wie Monheim, die als eine der ersten den kostenfreien öffentlichen Nahverkehr einsetzt und damit anstatt durch Warnungen und Fahrverboten dem Klimawandel etwas entgegenzusetzen versucht. Man muss sich das Dilemma der drohenden Klimakatastrophe einmal genauer zu Gemüte führen und sich fragen, wie lange die alleinigen Strategien des Drohens sowie des Verzichts noch funktionieren.

Das fragt sich auch Bornkessel als Künstlerin und private Person. Wir leben in einer wenig optimistischen Zeit, was unsere Zukunft und die unseres Planeten anbelangt, und es ist besorgniserregend, wenn unsere maximale kollektive Vorstellung einer besseren Zukunft und dem, was wir erreichen wollen – also unsere Utopie –, lediglich in einer Vermeidung einer Dystopie, nämlich der der Klimakatastrophe besteht.

Wir gewinnen nichts – weder materiell noch immateriell – dazu? Das wäre sehr traurig und man muss kein Prophet sein, dass dies nicht ausreichen dürfte, Gemeinschaften mit ihren unterschiedlichen Interessen und Besitzständen kollektiv zu motivieren. Der Glaube an Zukunft (und eine Utopie) ist gesellschaftlich nichts weniger als konstituierend.

Der künstlerische Ansatz Bornkessels wirkt in eine Zeit, in der „Naturkunst“7 angesichts des Klimawandels ein Mainstream-Trend zu werden scheint und bietet eine positive Alternative zu sonstigen dystopischen Darstellungen durch den Hinweis auf und das Erinnern an das ästhetische Erleben von Natur. Bruno Latours komplexer Befund, dass wir keinen unmittelbaren Zugang mehr zur Natur haben,8 bestätigt die Künstlerin auf ihre leichte und humorvolle Weise mit dem Wald-Bus in

der Stadt. Gleichsam wird die traurige Erkenntnis positiv umgemünzt, da an das konkrete Erleben „Wald“ sinnlich erinnert wird. Forest Bus und Embassy of Trees lösen einen ästhetischen Reflex aus, der eine Zukunft einer kulturellen wie biologischen Wertschätzung des Waldes und unser menschliches Eingebundensein ohne Subjekt-Objekt-Dualismus imaginiert.

Betrachtet man Ansätze der sogenannten Bio-Art oder anderer Kunstthemenbereiche, gehen viele Künstler von einem Ende der Natur und einer Art Post-Natur mit unheimlichen systemischen biologischen Verbindungen von Mensch, Natur und Technik9 aus. Bornkessels Kunst dagegen ist lebensbejahend auch in Hinblick auf unser Verhältnis zur bestehenden Natur. Sie setzt auf das sinnlich-ästhetische Erleben von Natur, welches uns einen Blick auf das große Ganze, nämlich unser Biosystem ermöglicht.

Dies ist ein Ansatz, den wir schon bei Goethes Ästhetik in Bezug auf das Erleben von Natur und der tieferen Erkenntnis der natürlichen Zusammenhänge und der Manifestation des Kosmischen in kleinsten und größten Teil der Natur, finden.10 Auch ein wichtiger Aspekt zur Idee der Ästhetik des Erhabenen zum Beispiel bei Kant bezieht sich vor allem auf das Erleben von gewaltiger Natur.11

Das Empfinden von etwas Erhabenen mag vereinfacht unter anderem darauf beruhen, dass wir Zeuge einer Manifestation eines natürlichen Umstands werden, den wir nicht begreifen und der uns in seiner Größe und Komplexität überfordert. Auch weil wir selbst Teil des Ganzen sind, haben wir nicht die Möglichkeit, das Ganze von außen zu betrachten.12 Vielleicht empfinden wir ja eine Wahrheit, ohne sie zu verstehen, darin liegt ein Reiz, den man auch beim Erleben des Waldes vermuten könnte.

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2 wie auch andere Systeme unserer Gesellschaft wie Wissenschaft oder Rechtssystem
3 Siehe z. B. Kunstausstellungen wie Reset Modernity am ZKM, Karlsruhe, 2016, oder auch Das Anthropozän-

Projekt, Haus der Kulturen der Welt, Berlin, 2013–2014.
4 In: Latour, Bruno: Das Parlament der Dinge; 1. Auflage, Frankfurt am Main 2010.

5 Hier seien beispielhaft Emanuel Raabs Menschenbilder mit großformatigen Fotoinstallationen auf Gebäuden in Essen, Frankfurt am Main, Karlsruhe u .a. zwischen 2012 und 2015 genannt. Oder Luigi Toscanos Serie Gegen das Vergessen (seit 2916), bei der er Porträts von Holocaust-Überlebenden in den öffentlichen Raum hängt. Ganz anders auch Wolfgang Tillmansʼ Plakataktion gegen den Brexit in Großbritannien von 2016

6 Von sogenannten kleinen „pieces“ bis zum „wholetrain“, bei dem der ganze Zug vollumfänglich gesprayt wird. 7 Siehe: KUNSTFORUM International, Bd. 258, „Kunstnatur/Naturkunst“, hrsg. von Dieter Bechtloff, Köln 2019.
8 In: Latour 2010 (wie Anm. 3), z.B. ab S. 41 ff.

 

4. Ellen Bornkessels fotografischer Blick auf den Wald und die Natur

Was ist das Besondere an den Fotografien, die sie bei ihren Besuchen im Wald macht und die auf dem Bus, auf den Bauzäunen am Kölner Dom und in diesem Buch abgebildet sind?

Bei ihr geht es durchweg nicht um eine herkömmliche fotografische Dokumentation, sondern es sind Fotografien, die das individuelle Erleben des Waldes fotografisch einfangen und für Jedermann erlebbar transportieren. So fotografiert sie die Bäume weniger als Motiv, sondern sehr subjektiv, d. h. sie bezieht den Betrachter mit ein: Es wird nicht der Baum als Objekt, sondern die Situation des „mit dem Baum sein“ fotografisch eingefangen. Es ist eine völlig distanzlose Sicht.

Nie sind die Bäume von oben oder von unten, sondern mitten aus ihnen heraus fotografiert. Ellen Bornkessel fotografiert den Wald aus seiner Mitte heraus, den menschlichen Betrachter

eingeschlossen. Hierbei betont sie nicht das Blattwerk, den einzelnen Baum oder das wie auch immer geartete Ensemble der Baumgruppen aus der Distanz, das Licht oder die Formen oder Farben.

Ohne übertreiben zu wollen: Sie fotografiert die Bäume wie Angehörige einer Gruppe, deren Mitglied sie ist. Das ist das Zentrale an den Aufnahmen. Es ist ungewohnt und fällt auf, wenn zum Beispiel Menschen die Bilder in Ausstellungen und Galerien sehen. Sie weichen etwas zurück, da sie gewohnt sind, als Subjekt auf ein Objekt zu blicken: „Wo ist denn da der Abstand?“, „Man kann ja kaum etwas deutlich erkennen!“ – Soll man auch nicht!!

Bruno Latour bemerkt sinngemäß, dass die neue Verbindung von Mensch und Natur keinen Platz zulässt, von dem man zuschauen könnte. Im Rahmen der fotografischen Darstellung bei Bornkessel heißt dies überspitzt: Es gibt kein Subjekt und Objekt mehr in den Bildern. Keinen Unterscheid zwischen Betrachter und Betrachtetem. Die amerikanische Naturwissenschaftshistorikerin Donna Haraway – eine feministische Redeführerin innerhalb der Anthropozän-Diskussion – spricht von „Verwandtschaften“,13 die wir bilden sollen mit den nichtmenschlichen Wesen der Welt. Ellen Bornkessel fotografiert die Bäume wie Mitglieder derselben Gruppe, wie Verwandte.

Es geht Ellen Bornkessel um das Ganze. Vor allem um die Bewahrung des großen Geheimnisses, das darin besteht, das wir es nicht erkennen können, weil wir selbst Teil davon sind. Es geht nicht um die Dokumentation einer herkömmlichen Betrachtungsweise. Es ist eine individuelle Sichtweise, die dazu dient, das Geheimnis der Schöpfung – für dessen Existenz man keinen Urheber benennen muss – mit uns als Teil bewahren und uns als Verwandte innerhalb der Mitglieder der Natur zu sehen.

Das ist das Zentrale und ungewöhnliche an den Aufnahmen und Aktionen, wahrscheinlich ist das auch ihr Angebot an uns zur Versöhnung und Verbrüderung mit der Natur.

Test: Fabian Lasarzik, Essen, März 2020 https://fabianlasarzik.com/

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9 Siehe z. B. Installationen und Skulpturen von Kristof Kintera.

10 Siehe z.B. die pantheistischen Beobachtungen in Goethe, J.W.: Italienische Reise, 1788 oder die Gedichte „Ganymed“ (1774), „Gefunden“(1810) oder Wilhelm Tischbeins Idyllen ,(1821) oder auch „West-östlicher Diwan“ (1819). Letztlich ist zu vermuten, dass Goethe den berühmten Park an der Ilm in Weimar anlegte, um den Menschen durch das Naturerleben moralisch-ethische Erkenntnis im Sinne des Humanismus zu ermöglichen.

11 Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft, Band 5, Darmstadt 1983.

12 Logisch und erkenntnistheoretisch verhält es sich wie bei Berger, Peter L./Luckmann, Thomas: Man kann keinen Bus anschieben, in dem man sitzt!, aus: Die gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit., Frankfurt am Main 1969.

 

 

Der Wald fährt in die Stadt von Dr. Tanja Busse

Der Wald fährt in die Stadt

Tanja Busse

Als Ellen Borkessel und ich zur Schule gingen, lag der Wald auf dem Frühstücktisch. Er hatte sich auf die Titelseiten der Zeitungen gedrängt und schrie um Hilfe. Wir Kinder sahen Bilder von abgestorbenen Fichten neben den halb geschmierten Frühstücksbroten und fürchteten, dass auch die Wälder in unserer Nähe bald so schaurig und tot aussehen könnten. Es waren die ungefilterten Abgase von Fabriken und Kohlekraftwerken, die den Regen sauer machten und die Bäume gefährdeten.

Die Politiker damals diskutieren nicht lange über Anreizsysteme für den freiwilligen Einbau von Entschwefelungsanlagen, über bessere Kennzeichnung von Produkten aus waldfreundlicher Produktion oder das Nudging von Konsumenten, diese Produkte doch bitte den anderen vorzuziehen – sondern die Politiker handelten. Sie erließen verbindliche und wirkungsvolle Regelungen zum Schutz der Wälder. So überlebten unsere Bäume diese gefährliche Zeit, aber wir Teenager der 1980er-und 1990er-Jahre hatten unsere Lektion gelernt: Wir Menschen gefährden die Welt. Unsere Wälder, unsere Flüsse, unsere Seen sind verletzlich. Wir müssen gut auf sie aufpassen.

Waren wir gut genug? Seit einigen Jahren schlagen die Förster erneut Alarm: Wieder sterben die Wälder. Der Dürresommer 2017 hat viele Fichtenmonokulturen so geschwächt, dass sie den Borkenkäfern nichts entgegensetzen können. Doch dieses Mal bringt es das Sterben der Wälder kaum auf die Titelseiten. Dabei ist dieses Waldsterben Teil von etwas viel Größerem, es ist Teil eines globalen Artensterbens in erdgeschichtlichem Ausmaß.

Dass Arten aussterben, ist etwas völlig Normales in der Evolution. Wissenschaftler bezeichnen das gewöhnliche Entstehen und Vergehen von Arten in Zeiten ohne kosmische oder geologische Katastrophen als Hintergrundrate. Sie nehmen an, dass etwa zwei von zehntausend Säugetierarten pro Jahrhundert aussterben. Der mexikanische Biologe Gerardo Ceballos und seine Kollegen haben diese Rate mit den in den letzten Jahrhunderten ausgestorbenen Säugetierarten verglichen (ohne die vielen gefährdeten und vom Aussterben bedrohten mitzurechnen). Sie sind zu dem beunruhigenden Schluss gekommen, dass die aktuelle Aussterberate bis zu hundert Mal höher als die Hintergrundrate liegt. Andere Forscher gehen vom Tausendfachen aus. In Zukunft könnte die Aussterberate sogar zehntausend Mal so hoch sein.1 Doch selbst Ceballos vorsichtige Schätzungen lassen nur einen Schluss zu: nämlich dass wir uns tatsächlich mitten im sechsten Massenaussterben der Erdgeschichte befinden.

Das ist eine ungeheure Erkenntnis, die ungeheuer gelassen aufgenommen wird. Als der Weltbiodiversitätsrat IPBES im Mai 2019 die ungeheure Zahl von einer Million bedrohter Arten verkündet, brachte das immerhin ein paar Schlagzeilen – doch nicht die politischen Veränderungen, die nötig wären, um das große Sterben zu stoppen. Dabei ist der Verlust von Biodiversität für uns Menschen genauso gefährlich wie – sagen wir – ein neuartiger Krankheitserreger aus der Gruppe der Corona-Viren. Der Resilienzforscher Johan Rockström zählt den Erhalt der Biodiversität zu einer der planetaren Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen, wenn die Welt in Zukunft ein safe operating space for humanity bleiben soll.2 Denn funktionale Ökosysteme erbringen Leistungen, ohne die wir nicht überleben könnten. Insekten bestäuben Blüten, die nur so zu Früchten werden; Blattläuse produzieren Nahrung für andere Insekten, die Singvögeln als

Nahrung dienen; Springschwänze zersetzen abgefallene Pflanzenteile; Mistkäfer zersetzen Kothaufen; und der lebendige, von Milliarden Mikroorganismen belebte Boden filtert schmutziges Wasser, aus dem wir Trinkwasser gewinnen und so weiter. Schwindet diese funktionale Biodiversität, können Ökosysteme zusammenbrechen. So sind in der Ostsee sauerstoffarme Todeszonen entstanden, die sich über Hunderte von Kilometern erstrecken und in denen alles Leben erstorben ist. Und auch unsere Wälder haben sich verändert.

Noch bis vor einigen hundert Jahren waren sie Orte der Vielfalt, die unsere Vorfahren auf vielfältige Weise nutzten: als Waldweide für ihre Tiere, als Holzquelle zum Heizen und Bauen, für die Honigernten, zum Beeren- und Pilze- und Heilkräutersammeln und natürlich für die Jagd. Das alles geht nur in vielfältigen Wäldern mit hoher Biodiversität. Wer sich – vielleicht mit Blick auf Ellen Borkessels Forest Bus – einen solchen lebendigen Wald vorstellt und danach die kahlen Hänge der abgestorbenen Fichtenmonokulturen, kann erahnen, was der Verlust von Biodiversität bedeutet.

 

Anthropozän wird diese Zeit genannt, in der die Menschen so sehr auf der Welt herumwerkeln, dass Geologen späterer Zeiten ihren Einfluss in Bohrkernen aus Gestein- und Bodenschichten werden ablesen können. Die Menschen – oder genauer: die Menschen der westlichen Industrieländer und ihre Nachahmer – haben durch direkte Eingriffe und durch die Veränderungen der globalen Stoffströme (Kohlendioxid, Stickstoff, Phosphor, Chemikalien) sämtliche Ökosysteme der Erde verändert. Es sind „Zeiten einer artenübergreifenden Dringlichkeit, die auch die Menschen umfasst“, warnt die amerikanische Biologin, Wissenschaftstheoretikerin und Feministin Donna Haraway.3 „Zeiten von Massensterben und Ausrottung; einer Weigerung, sich die kommende Katastrophe rechtzeitig präsent zu machen; Zeiten eines nie dagewesenen Wegschauens.“ Der fossilienverbrennende Mensch, so bringt sie es klar und

scharf auf den Punkt, scheine darauf aus zu sein, in kürzester Zeit so viele neue Fossilien wie möglich herzustellen. Was früher Natur genannt wurde, schreibt sie, sei „zu einer durchschnittlichen menschlichen Angelegenheit mutiert, und zwar so und mit solcher Nachdrücklichkeit, dass sich die Mittel und Aussichten des Weiterbestehens zutiefst verändert haben; inklusive der Möglichkeit, dass es überhaupt nicht weitergeht.“

 

Trotzdem hält Donna Haraway den Begriff Anthropozän für falsch, um all das zu verstehen – und vor allem, um es zu verändern. In den vielen Reden vom Anthropozän „infizieren technotheokratische, geoingenieursmäßige Reparaturfantasien und das sich Suhlen in Verzweiflung jede gemeinsam hergestellte Vision“, kritisiert sie. Und beides hilft nicht weiter – weder Resignation noch der größenwahnsinnige Versuch, mit Ingenieursmethoden globale Stoffkreisläufe managen zu wollen. Um der drohenden Auslöschung etwas entgegenzusetzen, müssten wir vielmehr über das Anthropozän hinausdenken und all die Vorstellungen hinter uns lassen, die uns überhaupt erst in diese Zeit der Dringlichkeit gebracht haben: die Vorstellung der Dominanz des Menschen über die Natur, die Geschichte vom Fortschritt durch Technik, von der Dominanz des Westens und von Individuen als wirkmächtigen Einzelkämpfern, von technokratischen Unternehmern, von Markt und Profit betörten Kapitalisten – kurz all das, was unser Denken bislang ziemlich geprägt haben dürfte. Und was uns jetzt daran hindert, neu zu denken. Damit wir uns überhaupt vorzustellen vermögen, wie es anders gehen könnte.

 

Wenn nun der Forest Bus den Wald zurück in die Stadt bringt, sollten wir ihn nicht als Reminiszenz an unseren alten Sehnsuchtsort betrachten, als Erinnerung an etwas, das es nur noch auf Bildern gibt und in echt bald nicht mehr. Sondern im Gegenteil, wir sollten einsteigen in diesen Bus und mit ihm ins Chthuluzän fahren. So nennt Donna Haraway den Ort, der nach dem Anthropozän kommt. Es ist eine Welt, in der es stattdessen nicht um technokratische Weltbeherrschung und -zerstörung, sondern „artenübergreifende Praktiken des

Miteinander-Werdens“ geht. Das Chthuluzän hat Haraway nach einer Spinne benannt, denn in ihrem neuen Zeitalter sind Netze und Tentakel wichtig, überhaupt die Verwobenheit des Lebens. Verheddern, Verfilzen, Verwirren, Nachspüren und Sortieren, das sind ihre Begriffe. Sie will aufmerksame Praktiken des Denkens, des Liebens, der Wut und der Sorge fördern – und artenübergreifende Responsabilität. Das alles muss man wohl erst fühlen, bevor man es versteht und daraus ableitet, was zu tun wäre, um das Anthropozän zu überwinden. Vielleicht sollte der Forest Bus dazu nicht nur in Monheim fahren, sondern aufbrechen in die letzten naturnahen Wälder im Sauerland. Vielleicht sollten die Monheimer dort aussteigen und den Wäldern lauschen. Vielleicht flüstern die Blätter im Abendwind, was wir tun sollten, um das Anthropozän zu verlassen.

 

Das klingt esoterisch, doch genau das wird als vielversprechender Ansatz zur Rettung der Biodiversität diskutiert. Wenn der Satz stimmt, der Albert Einstein zugeschrieben wird, nach dem man Probleme nicht mit derselben Denkweise lösen kann, die sie geschaffen hat, könnte es sehr, sehr hilfreich sein, sich auf ein neues Denken einzulassen, eines, in dem wir Menschen nicht der Natur gegenüber stehen, sondern in dem wir uns in ihr verwoben wiederfinden. So wie Donna Haraway sich das vorstellt.

 

Nun sind es ausgerechnet Rechtswissenschaftler, die diesem Denken zu einer neuen Durchschlagskraft verhelfen wollen. Der US-amerikanische Jurist Christopher Stone hat schon vor Jahrzehnten die Idee eines Klagerechtes für Tiere und natürliche Entitäten wie Flüsse oder Ökosysteme entwickelt.4 Und der südamerikanische Staat Ecuador hat dieses Recht in seiner Verfassung verankert. Dort waren es vor allem indigene Gruppen, die sich dafür eingesetzt haben, dass die Verfassung Pachamama schützt. Dieses Wort der Quechua und Aymara bezeichnet die Mutter Natur oder Göttin der Erde oder die Einheit alles Lebendigen – es gibt kein einfaches Wort, um dieses Große zu übersetzen, und das zeigt schon, dass es uns an Vorstellungskraft dafür fehlt, was die Ecuadorianer dort in ihrer Verfassung geschützt haben. Der Bremer Jurist Andreas Fischer-Lescano aber ist der Auffassung, dass sich auch unser Rechtssystem so weiterentwickeln ließe, dass Natur den Status einer Rechtsperson bekäme.

 

Wäre die Natur nämlich eine Rechtsperson wie ein Mensch oder ein schnödes Wirtschaftsunternehmen, könnte sie vor Gericht ihren Schutz einklagen. Ein Fluss könnte gegen ein Staudamm-Projekt klagen oder ein Wald gegen seine Abholzung. Das wäre deshalb so hilfreich, weil es auf allen politischen Ebenen – von den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen zu Biodiversitätsstrategie der Bundesregierung – längst klare politische Ziele zum Schutz der Biodiversität gibt. Weil die immer wieder verfehlt werden, könnten Klagen helfen. Und ein neuer Blick auf die Natur als ein Netz des Lebens, in dem wir genauso geborgen sind wie alles andere Lebendige.

https://www.tanjabusse.de/

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1 Ceballos, Gerardo u. a.: Accelerated modern human-induced species losses: entering the sixth mass extinction, Science Advances vom 19.6.2015, http://advances.sciencemag.org/ content/1/5/e1400253.

2 Rockström, Johan u. a.: A safe operating place for humanity, Nature Nr. 461 vom 24.9.2009, S. 472–475.

 

 

3 Haraway, Donna J.: Unruhig bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän (2016), Frankfurt am Main 2018.

 

 

4 Stone, Christopher D.: Should trees have standing? Law, morality, and the environment, Oxford 2010 (1972).

 

 

5 Fischer Lescano, Andreas: Natur als Rechtsperson. Konstellationen der Stellvertretung im Recht, ZUR 2018, S. 206 f.

 

„Embassy of Trees“ eröffnet ihre Botschaft in Monheim am Rhein. Der Wald kommt in die Stadt vom 7.2. – 3.5.2020 .Die Künstlerin Ellen Bornkessel bringt mit ihrem Projekt „Embassy of Trees“ den Wald in die Stadt und gibt den Bäumen eine Stimme. Auf ihren Fotoinstallationen sind Waldszenen zu sehen. Für Monheim hat sie einen „Forest Bus“ erschaffen. Sie geht in den Wald und fotografiert Bäume auf eine ganz besondere Weise. Es sind Fotografien, die das individuelle Erleben des Waldes fotografisch einfangen. Eines dieser Waldmotive umkleidet einen öffentlichen Bus kunstvoll und bildstark und bringt den Wald sprichwörtlich in die Stadt. Die Natur taucht so auf spielerische Weise in unserem Lebensraum auf.Mit „Forest Bus“ wird die alltägliche Fahrt mit dem Linienbus zum Kunstgenuss. Es entsteht ein frei zugängliches Kunstwerk, das durch seinen Erlebnischarakter Emotionen auslöst und Menschen unabhängig von Alter und Herkunft sinnlich berührt.Das Walderleben beschränkt sich jedoch nicht auf das Sichtbare. Im Innenraum duftet es behutsam wahrnehmbar nach natürlichen Walddüften. Die Fahrgäste steigen ein und werden durch den Duft an den Wald erinnert.„Forest Bus“ ist Teil des Projektes „Embassy of Trees“. Es bringt die Natur in die Stadt und gibt ihr eine Stimme. „Ich möchte etwas erschaffen, was unsere Verbundenheit mit der Natur spielerisch und leicht wiedererweckt“. Ich möchte Mut machen, sich den Herausforderungen des Klimawandels zu stellen und wieder mehr Schönheit und Natürlichkeit in unser Leben bringen“. Ellen Bornkessel, „Embassy of Trees“

Die Sehnsucht nach Natur

Der Wald ist ein Sehnsuchtsort. Die Fotoinstallation macht diese Sehnsucht sichtbar. Viele Menschen wünschen sich eine unberührte Natur. Indem sie den „Forest Bus“ benutzen, bekommen sie im Alltag die Gelegenheit sich einfach so gedanklich in den Wald zu begeben und gleichzeitig durch die Stadt zu fahren. Die Kontextverschiebung, ein fahrender Wald in der Stadt ist ein auffälliges Bild und ein Zeichen für eine Stadt, die neue Wege des Nahverkehrs geht mit autonom fahrenden Bussen und einem für die Bürger ab dem 1.4. kostenlosen Nahverkehr. Die Kunst Aktion ist in der Kombination mit dem Waldduft ein weltweites, zeitgemäßes Novum und könnte Trends setzen.

Ellen Bornkessel fotografischer Blick auf den Wald

Der Fotografin Ellen Bornkessel geht es um das Ganze. Vor allem um die Bewahrung des großen Geheimnisses der Natur, das darin besteht, das wir es nicht erkennen können, weil wir selbst Teil davon sind. Es geht nicht um die Dokumentation einer herkömmlichen Betrachtungsweise. Es ist eine individuelle Sichtweise, die dazu dient, das Geheimnis der Schöpfung mit uns als Teil zu bewahren.

So fotografiert sie die Bäume teils als Motiv, teils sind die Fotografien aber subjektiv d.h. sie beziehen den Betrachter mit ein. Es wird nicht der Baum als Objekt, sondern die Situation des „mit dem Baum sein“, das individuelle Erleben fotografisch eingefangen. Es ist eine sehr subjektive Sicht, völlig distanzlos und sinnlich mittendrin.Nie sind die Bäume von oben oder von unten, sondern mitten aus ihnen heraus fotografiert. Ellen Bornkessel fotografiert den Baum nicht als Motiv oder anschauliches Objekt, sondern das Erleben Wald aus seiner Mitte heraus. Sie fotografiert die Bäume wie Angehörige einer Gruppe deren Mitglied sie ist. Das ist das Zentrale und ungewöhnliche an den Aufnahmen, neben dem künstlerischen Blick für den fotografischen Augenblick, der Komposition, der Licht, Farbe, Bildrichtung und Form definiert. Ein Teil des Mystischen, des Magischen, was ein Wald oder Baum an sich ausmacht, wird so mittransportiert.Es wird so ein fahrender Wald erschaffen, der Verwunderung und Bezauberung auslöst. Diese Kunst im öffentlichen Raum wirft Fragen auf: „Was macht der Wald in der Stadt, wie gehen wir mit Natur um?“, „Wo ist unser Platz in der Natur?“Vor allem aber, entsteht für die Besucher ein sinnliches Erlebnis, dass durch den angenehmen, kaum wahrnehmbaren Duft noch gesteigert wird. Die Essenzen sind nachgewiesen immunstärkend und wirken antibakteriell. Das bedeutet, dass die Fahrgäste nicht nur von dem Kunsterleben profitieren, sondern auch einen konkreten Mehrwert erfahren ohne in irgendeiner Weise „überfrachtet“ zu werden.Das Kunst Klima Projekt „Forest Bus“ ist eine Fortsetzung der „Embassy of Trees“ Initiative der Kölner Fotokünstlerin Ellen Bornkessel. „Embassy of Trees“ startete 2018 mit einer 100 Meter langen Fotoinstallation vor dem Weltkulturerbe Kölner Dom und begeisterte 140.000 Menschen.

 
Embassy of Trees Fotoinstallation vor dem Kölner Dom

Statement und Hintergründe:

„In meinen Fotografien finden sich oft unwirkliche, verwunschene Stimmungen. Mich interessieren Parallelwelten, die neben einer gewinnorientierten durchoptimierten Gesellschaft existieren und die ihren eigenen Zauber und Kraft entfalten. Auch die Natur, die aus unserem Leben immer mehr verbannt wird, ist zur Parallelwelt geworden, obwohl wir doch Teil davon sind. Mir erscheint sie oft paradiesisch. Ein Teil dieser Kraft möchte ich mit meinen Fotos in die Welt bringen.Ich habe die „Embassy of Trees“ gegründet, weil wir ein starkes Artensterben erleben, große Klimaprobleme kommen auf uns zu. Die Welt wird immer leerer. Wir bezahlen einen hohen Preis für die materiellen Güter, die wir für die Zerstörung unseres Planeten erhalten.Die "Embassy of Trees" appelliert an uns, jetzt zu handeln. Sie möchte unsere Verbindung zur Natur sichtbar machen. Wenn die Menschen nicht zur Natur kommen, kommt sie eben auf spielerische Weise zu ihnen. „Embassy of Trees“ eröffnet ihre Botschaft mit jedem neuen Projekt und gibt der Natur eine Stimme: Was man liebt, das schützt man.“

Werk und Vita:Ellen Bornkessel ist eine international arbeitende Künstlerin und renommierte Fotografin. Mit ihrem Projekt "Embassy of Trees" bringt sie nicht nur die Natur in die Stadt, sie schafft auch neue Erfahrungsräume für die Fotografie. Ihre mobilen Fotoinstallationen schaffen neuartige Bezüge zwischen der Architektur der Stadt und der Fotografie und erschliessen so neue, frische Wege der Kunst RezeptionIn ihrem künstlerischen Schaffen sucht Bornkessel Inszenierungen, die keine sind. So auch bei dem Projekt „play“, wo sie Menschen des nachts in den Großstädten fotografierte, die abseits vom Konsum sich ihre Spielwiese Stadt zurückerobern.Sie liebt Theater, hat viel Theater fotografiert und mag Momente, in denen sich Kontexte verschieben und Parallelwelten öffnen. Mit „Embassy of Trees“ inszeniert sie die Natur im öffentlichen Raum und zwar mobil. Ihr Thema ist urbane Fotografie und es gibt Anleihen an die berühmten Fotografen Robert Adams. Sie hat eine Affinität zu den „New topographics“, Fotografien von Menschen veränderten Landschaften.. Bei „Forest Bus“ verhält es sich anders: Der Wald, den sie fotografiert hat, ist einer der wenigen Wildwälder in NRW. Er wird seit einigen Jahren und auf unbestimmte Zeit sich selbst über – und von Menschen in Ruhe gelassen wird.

www.embassy-of-trees.de und www.ellen-bornkessel.deAlle Inhalte, Texte und Bilder sind copyrightgeschützt.

Text und Kurator: Fabian Lasarzik, Essen, Januar 2020

Embassy of Trees Michael Horbach Stiftung

Texte zu "Embassy of Trees"

Fabian Lasarzik I Kunstwissenschaftler:

 

Kirche und Kunst

Ist es nicht eigenartig, dass in der sakralen Kunst die Schöpfung selbst, das von Gott geschaffene Ergebnis, nämlich die Natur, der Mensch, ja die Welt kaum Inhalt des Werkes sind? Das finden wir in der kirchlichen historischen Kunst. Und gleichsam handeln zwei der berühmtesten Bilder der Kunstgeschichte von der Schöpfung und thematisieren diese:

Ich spreche von Botticellis „Die Geburt der Venus“, aber auch „La Primavera“, die uns faszinieren, weil sie die Entstehung der Welt mit ihren Elementen, Luft, Wind, Wasser, Pflanzen, Menschen thematisieren. Götter der griechischen Mythologie hauchen den unbelebten Dingen leben ein und erschaffen die Welt in ihrer Schönheit. Die Auftraggeber dieser Bilder sind nicht Vertreter der Kirche, sondern florentinische Kaufleute die Medici. Diese Bilder sind beliebter und uns näher als viele der wunderbaren Werke der klassischen sakralen Kunst mit ihren Christus und Mariendarstellungen oder Szenen aus der Bibel.

Themen, die selbstreferentiell den Glauben, seine Protagonisten und seine Erzählweisen zum Inhalt haben. Selten aber, sehr selten, die Schöpfung selbst, die eigentlich das Wichtigste ist, was Gott erschaffen hat.

Der Regisseur Max Reinhardt hat einmal gesagt: Gott hat die Welt erschaffen, aber der Mensch hat sich eine zweite Welt erschaffen, die Kunst.

Haben wir es hier mit einer Dichotomie zu tun und ist der Grund, warum wir heute hier bei „Embassy of trees“ zusammen eine Kooperation zwischen Kirche und freier Kunst erleben wirklich so ungewöhnlich? Gerade weil wir hier mit Ellen Bornkessels Bäumen, das Thema der Schöpfung zum Inhalt haben?

Den freien Kunstbegriff gibt es erst seit dem 20. Jhd. Vorher gab es sakrale Kunst, rituelle oder repräsentative Kunst:

Kunst und Kirche müssten doch zusammenfinden, wo sie doch eigentlich eine gemeinsame Bestimmung haben: Zu zeigen: Es geht auch anders, ab vom alltäglichen Leben zu zeigen und auf Alternativen zu unserer profanen, alleinig zweckbestimmten Existenz zu verweisen und somit eine außerhalb dieser Kategorien liegenden Orientierung zu verweisen.

Der Kölner Dom als Weltkulturerbe und große kirchliche Institution ist hier schon öfter neue Wege gegangen und hat sich geöffnet, beispielsweise mit den Arbeiten Joseph Beuys oder Gerhard Richters in und am Dom. Wenn auch im kleinen und nur temporär wird diese Tradition heute ein wenig fortgesetzt.

„Embassy of Trees“ bietet hier auch schon formale Analogien. So sind Bäume immer als Symbol für die Verbindung von Himmel und Erde.

Die (Korinthischen) Säulen sind daher den Bäume nachempfunden, die sozusagen das Dach des Himmels tragen.

 

Inhaltlich ist es neu, dass Kunst und Kirche gemeinsam Antworten geben und den (teils so bequemen) Raum, der nur beschreibt und abstrakt ermahnt, verlassen und auf die Notsituation eines Teil der Schöpfung hinweisen in Zeiten, wo Politik diese Orientierung teils vernachlässigt bzw nicht mehr gehört werden will?

Wenn wir uns schon religiös und gläubig fühlen, indem wir Wälder und Bäume schützen und uns ihrer tieferen Kraft, Erhabenheit und Schönheit bewußt werden, war es selten einfacher religiös zu sein, aber gleichzeitig auch niemals nötiger.

Insofern möchte ich dem Dom zu Köln und der Künstlerin Ellen Bornkessel gratulieren zu ihrer Zusammenarbeit, denn in diesen Zeiten wird hier etwas zusammengeführt, was zusammengehört.

Ellen Bornkessel geht in den Wald und fotografiert Bäum, hier ganz in der Nähe in Köln. Hier betont sie nicht das Blattwerk, den einzelnen Baum, das wie gestellte Ensemble der Baumgruppen, das Licht oder die Formen oder Farben.

Kann sie nicht mal ein bisschen Abstand nehmen? Wo ist denn da die Distanz? Man kann ja kaum etwas deutlich erkennen! Soll man auch nicht!!

Es geht ihr ums Ganze. Vor allem um die Bewahrung des großen Geheimnisses, das darin besteht, das wir es nicht erkennen können, weil wir selbst Teil davon sind. Es geht nicht um die Dokumentation einer herkömmlichen Betrachtunsgweise. Es ist eine individuelle Sichtweise, die dazu dient, das Geheimnis der Schöpfung mit uns als Teil bewahren.

Sie fotografiert die Bäume teils als Motiv, teils sind die Fotografien aber subjektiv d.h. sie beziehe den Betrachter mit ein. Es wird nicht der Baum als Objekt, sondern die Situation des „mit dem Baum sein“ , das individuelle Erleben fotografisch eingefangen. Es ist eine sehr subjektive Sicht, völlig distanzlos so als ob der Wald und der Baum von einem anderem Baum als Teil einer Gemeinschaft fotografiert wurde.

Bitte beachten Sie die Perpektiven. Nie sind die Bäume von oben oder von unten, sondern mitten aus ihnen heraus fotografiert. Ellen Bornkessel fotografiert den Baum nicht als Motiv oder anschauliches Objekt, sondern das Erleben Wald bzw Baum aus seiner Mitte heraus. Ich will nicht esoterisch scheinen, aber sie fotografiert die Bäume wie Angehörige einer Gruppe deren Mitglied sie ist. Das ist das Zentrale und ungewöhnliche an den Aufnahmen, neben dem hohen Blick für fotografischen Augenblick, der Komposition, der Licht, Farbe, Bildrichtung und Form definiert. Ein Teil des Mystischen, des Magischen was ein Wald oder Baum an sich wird so mitgetragen. Wahrscheinlich ist das auch ihre Versöhnung mit der Natur.

Bornkessel liebt Inszenierungen, die keine sind. So auch bei dem Projekt „play“, wo sie Menschen des nachts in den Großstädten fotografierte, die abseits vom Konsum sich ihre Spielwiese Stadt zurückerobern.

Sie liebt Theater, hat viel Theater fotografiert und mag Momente, in denen sich Kontexte verschieben und Parallelwelten öffnen. Ihr Thema ist urbane Fotografie und es gibt Anleihen an die berühmten Fotografen Robert Adams und Robert Frank. Sie hat eine Affinität zu den „New Topographics“, amerikanische Stadtfotografie und neue Sachlichkeit, Fotografien von Menschen veränderten Landschaften

So ist auch „Embassy of trees“ einzuordnen. Es geht um Bäume am Stadtrand aufgenommen und in die Stadt platziert. Es ist eine Auseinandersetzung mit unserer urbanen veränderten Landschaft. So die Nähe zu der „New Topographics“ Richtung.

Sie mag es Alternativen zu zeigen Alternativen zum stromlinineförmigen kapitalistisch angepasstem Leben und sucht Transzendenzen und auch Versöhnung, das hat sie mit der Kirche gemeinsam. Ebenso möchte sie das Magische, das Tiefer dahinterliegende, vielleicht auch das Religiöse und hier ist sie durchaus katholisch, bewahren und ein freudiges Staunen ermöglichen.

Wenn Wolfgang Tillmans sagt „Ich mache Bilder, um die Welt zu erkennen“

würde Ellen Bornkessel sagen, „Ich mache Bilder, um das Geheimnis zu bewahren“!

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Fabian Lasarzik, Essen, Februar 2018